Dieses Mal analysieren wir folgende interessante Bemerkung einer erfahrenen Seminarteilnehmerin:
„Ich arbeite schon lange in einer japanischen Firma und bin daran gewöhnt, oft unrealistisch hohe Zielvorgaben zu bekommen. Dieses Mal sollten wir eine 5% Kostenreduzierung bei den Beschaffungskosten erreichen und haben dieses Ziel durch günstige Umstände sogar bis zur Hälfte des Geschäftsjahres geschafft. Als unser japanisches HQ davon erfuhr, wurde das Ziel dann auf 10% erhöht. Das war sehr demotivierend für uns alle!“
Dieser in Japan keineswegs seltene Ansatz scheint aus unserer Perspektive Einsatz und Leistung fast zu bestrafen, da bei Zielerfüllung die Schraube einfach weiter angezogen wird.
Keyword 1: „Kaizen“
Wenn wir den kulturellen Hintergrund betrachten, ergibt sich ein anderes Bild. Viele von Ihnen werden den Begriff „Kaizen“ kennen oder sogar in eigene Arbeitsprozesse integrieren.
Kaizen bezeichnet den Prozess einer nie abgeschlossenen inkrementellen Verbesserung.
Japaner sehr detailorientiert und streben danach, Prozesse stets zu verbessern. So ist z.B. eine Ausschussquote von sehr guten 0,4 Prozent kein Grund „sich auf die Schulter zu klopfen“, sondern sollte Ansporn sein, diese noch weiter zu verringern.
Keyword 2: „Senobi“
Ein weiterer wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang lautet „Senobi“, also in etwa „auf den Zehenspitzen stehend nach etwas hoch Hängendem zu greifen“.
Japaner werden von Kindheit an dazu angehalten, sich durch hohe Zielvorgaben nicht entmutigen zu lassen, sondern gerade deswegen ihr Bestes zu geben. Auch im Arbeitsleben gibt es daher die Tendenz, oftmals leicht unrealistische Ziele zu setzen.
In westlichen Geschäftskulturen wird normaler eher ein Ansatz mit „SMART“ Target verfolgt (also: Specific, Measurable, Achievable, Relevant, and Time-Bound).
Theorie und Praxis
Es ist aber in Japan so, dass allen Beteiligten natürlich die nicht-Erreichbarkeit durchaus bewusst ist. Manche japanischen Manager sprechen unter 4 Augen sogar offen von 2 Auslegungen desselben Targets, einerseits dem offiziellen (Mond)ziel und dann dem darunterliegenden realistischen Wert, der ebenfalls akzeptiert wird, wenn klar ist, dass der damit betraute Mitarbeiter/Team mit aller Kraft daran gearbeitet hat.
Kurz gesagt ist aus traditioneller japanischer Sicht eine Zielvorgabe sinnlos, die voraussichtlich erreicht werden wird, da sie keinen „Senobi“-Ansporn beeinhaltet.
In angesprochenen Fall hatte der Manager augenscheinlich die Furcht, dass durch das frühe Erreichen der Kostenreduzierung die Motivation und damit der Einsatz schwinden würde, wenn kein neues und wiederum höheres Ziel gesetzt würde.
Natürlich ist auch in vielen japanischen Firmen inzwischen ein westlicher „Management by Objective“ Ansatz eingeführt worden. Trotz dessen bewerten viele Firmen in Japan ihre Mitarbeiter/innen dort immer noch eher nach „Effort/Einsatz“ als nach „Outcome/Ergebnis“.
Es ist hier also wichtig, auch sehr hohe Ziele erst einmal anzunehmen und dann sehr zu dokumentieren, was man im Detail unternommen hat. Dadurch kann man in Nachgang klar belegen, dass man selbst alles probiert hat, aber die Gegebenheiten ein höheres Ergebnis verhindert haben.
Wie gesagt, beschreiben japanische (besonders mittelfristige) Ziele, die aus HQ kommen, häufig eine anzustrebende „Vision“ als eine Ziel, das 1 zu 1 umsetzen kann.
Es macht durchaus Sinn, dieses Thema einmal informell mit japanischen Kolleg/innen und Management anzusprechen, um zu verhindern, dass man zwar die gleichen Ausdrücke wie „Objective“ etc. verwendet, aber vollkommen andere Sachen meint. Hier ein japanischer JCO Artikel zum selben Thema zum Weiterleiten!
Mehr solcher Themen werden in unseren offenen Workshops behandelt.