Oft fällt in unseren Schulungen folgende Bemerkung:
„Die japanischen Kollegen scheinen immer noch sehr darauf bedacht, niemanden direkt zu kritisieren oder bloßzustellen. Das wirkt auf uns übertrieben, da es manchmal die genaue Analyse der Probleme behindert und klare Verantwortlichkeiten verschleiert“.
Aus hiesiger Sicht kann diese Tendenz durchaus die Lösungssuche erschweren, zudem der Hintergrund für diese kulturelle Eigenheit nicht einfach zu durchschauen ist.
Im Westen und insbesondere in Deutschland wird eine klare Verantwortlichkeit stark betont und jeglicher Versuch einer Schönfärberei eher kritisch gesehen.
Sehen wir ein paar Beispiele an, an denen man ermessen kann, wie ernst in Japan das „Face“ genommen wird.
a. „Schneemann Im Giftschrank“
In Japan sind alle Arten von Drogen mit Ausnahme von Alkohol streng verboten. Auch der Besitz oder auch nur Nachweis von kleinsten Mengen wird drakonisch bestraft.
Im Februar 2019 wurde ein japanischer Sprecher und Schauspieler, der z.B. als die Stimme des Schneemanns Olaf in der japanischen Version von „Frozen/die Eisprinzessin“ (Disney) vorkommt, wegen Kokainkonsums verhaftet. Es wurden zwar keine Drogen gefunden, aber ein Bluttest war positiv.
Als Konsequenz zog Disney sofort alle DVD Kopien von „Frozen“ aus dem Verkehr und auch das Streaming des Films ist vorerst nicht mehr möglich, bis ein anderer Sprecher den Part neu einsprechen wird. Das gleiche gilt für andere gerade erst erschienene Computerspiele, in denen er vorkommt.
Versuchen wir nachzuvollziehen, warum Japan hier anders tickt und der Schneemann Olaf erst einmal im Giftschrank verschwinden musste.
Obschon auch im Deutschen und Englischen genügend Ausdrücke für Scham und Peinlichkeit vorhanden sind, kann man die Begriffe nicht einfach übertragen. Wenn man hier sagt „das war wirklich peinlich“ oder „da habe ich mich voll blamiert“, ist das zwar kurzfristig unangenehm, zieht aber normalerweise keine weiteren Folgen nach sich.
In Japan ist das Konzept des „Gesichts“ viel weitreichender, da das eigene „Face“ (auf japanisch „Kao“ oder auch „Menboku“) die soziale Identität darstellt, ohne die man nicht vor andere Leute treten kann. Ist diese Identität beschädigt, stellt das ein sehr großes Problem dar, unabhängig davon, ob man selbst für dafür verantwortlich ist.
Der Grund liegt darin, dass jede Assoziation mit diesem Schauspieler, der durch den Drogengenuss als Persona non grata wahrgenommen wird, als extrem negativ für den eigenen guten Ruf gilt. Auch hohe Umsatzeinbußen sind daher zu akzeptieren, bis die Situation durch vollkommene Loslösung vom Skandal geklärt ist.
Es geht also stets darum, wie einen die eigene Gruppe, der Kunde oder die Gesellschaft als Ganzes sieht.
Das heißt, wer als Person oder auch als Firma aus eigenem Verschulden oder auch durch Handlungen Dritter gegenüber den festen Regeln verstößt, muss sehr ernsthafte Konsequenzen fürchten. Die Rolle der Entschuldigung in diesem Prozess wurde bereits hier beschrieben.
b. „Wieder kraftvoll zubeißen können“
Hier ein lustigeres Beispiel zum Thema „Gesichtswahrung“:
Da in Japan das weibliche Ideal des „Ochobo“ Mundes gilt, also eines kleinen „niedlichen Mündchens“, ist es für die meisten Japanerinnen ein Faux Pas, den Mund zu weit aufzureißen. Aus diesem Grund hält man sich z.B. auch oft instinktiv beim Lachen die Hand vor den Mund.
Eine Fastfoodkette hatte nun das Problem, dass Kundinnen meist den Verzehr von Hamburgern scheuten, da man dazu zwangsläufig den Mund weit öffnen muss, um hinein zu beißen. Als typisch japanische Lösung wurde deshalb eine Serviette entworfen, in die der Hamburger eingewickelt und bei der auf der Vorderseite ein geschlossener „Ochobo“ Mund abgebildet ist. Somit kann jede Kundin nun nach Herzenslust zubeißen und dabei trotzdem damenhaft wirken!
Es ist nun bei Weitem nicht so, dass alle Hamburger von Japanerinnen auf diese Weise verzehrt werden und auch in Japan ist das vor allem ein Gag, aber dennoch ist dieser Lösungsansatz sehr interessant.
So besagt auch der Name „Liberation“-Burger, dass man sich zwar von kulturellen Zwängen befreit, diesen aber doch Respekt zollt!
Laut des Unternehmens stiegen die Verkaufszahlen dadurch immerhin um 213%.
Wenn Sie also mit Japan zusammenarbeiten, sind diese Tipps hilfreich:
- Nur weil etwas hierzulande kein tiefgreifendes Problem ist, kann es in Japan durchaus als gravierend wahrgenommen werden. Also immer im Zweifel enge Rücksprache halten!
- Achten Sie peinlich (!) genau darauf, nicht aus Versehen das japanische Gegenüber / die Gruppe / den Kunden zu beschämen.
- Wenn beim Auftreten von Streitigkeiten eher von „Miscommunication“ gesprochen wird, ist das keine Schönfärberei, sondern der Versuch, das Gesicht aller Beteiligten zu wahren.
- Versuchen Sie im Idealfall eine Lösung zu finden, die zwar die Probleme adressiert, aber die einzelnen Beteiligten nicht beschädigt.