Dieses Mal möchten wir auf ein Phänomen eingehen, das in Workshops oft von lokalen Mitarbeitern kleinerer und mittlerer japanischer Unternehmen angesprochen wird:
Wir haben das Gefühl, dass es in unserem Hauptquartier in Japan und bei vielen Expat Managern kein echtes Verständnis für den Sinn und Zweck von Marketing gibt. Wenn wir diesen Punkt ansprechen, hören wir als Antwort nur: „in Japan legen die Kunden höchsten Wert auf Monozukuri. Das heißt, in Japan muss man durch perfekte Qualität und Präzision überzeugen, da es dort die anspruchsvollsten Kunden auf der ganzen Welt gibt. Wenn wir das schaffen, werden wir uns auch auf den lokalen Märkten mit unseren Waren gut durchsetzen können!“
Obwohl in großen Konzernen diese traditionelle Sichtweise nicht mehr vorherrscht, gibt es doch unzählige japanische Firmen, in denen Marketing nur ein Anhängsel der Sales Abteilung ist.
Gehen wir ein bisschen in der Geschichte zurück, um diese Einstellung zu verstehen.
In Japan herrschte in der Edo-Zeit von der Mitte des 17. bis zum 19 Jahrhundert ein starres Ständesystem, das auf den Lehren Konfuzius´ basierte. In diesem System waren die Samurai der höchste Stand, der als einziger Waffen tragen durften. Als nächstes kamen die Bauern, die dadurch, dass sie Reis und andere Lebensmittel produzierten, als extrem wichtig für die Gesellschaft galten. Die Handwerker, zu denen alle Berufe gehörten, die aus den Rohmaterialien Produkte herstellten, waren der dritte Stand.
Die Händler aber standen ganz unten, da sie, außer Waren zu verteilen, der Meinung Konfuzius nach nichts Besonderes zum Erhalt des Staatswesens beitrugen. Dieses Ständesystem wurde bereits 1869 abgeschafft, hat aber doch seine Spuren hinterlassen.
In der Moderne wird der Begriff Monozukuri, also auf Deutsch “das Fertigen von Dingen” benutzt, um den unbedingten Anspruch an höchste Präzision und das Streben nach ständiger Verbesserung zu beschreiben. Für genau diese Perfektion in der Produktion ist Japan weltweit bekannt und so besteht bis heute bei Angestellten, die in der Herstellung arbeiten, ein gewisser Stolz, wenn nicht sogar Dünkel gegenüber denen, die „nur“ verkaufen. Also sehen bis heute die „Handwerker“ immer noch auf die „Händler“ hinab.
In einer Firma sagte ein japanischer Fabrikleiter wörtlich zu einem hiesigen Sales Manager: “wir produzieren die Sachen! Ihr hingegen vertreibt die Waren nur, als spielt euch nicht so auf…!”.
Da führt häufig dazu, dass gemäß dieses “Ständedenkens” Marketing erst recht keinen hohen Stellenwert hat und vom Rang oft noch unter der Verkaufsabteilung angesiedelt ist. Zudem haben durch das japanische System der Mitarbeiterrotation die wenigsten Firmen echte Profis auf diesem Gebiet.
Natürlich gibt es auch in Japan viele Gegenbeispiele und es setzt sich allgemein die Erkenntnis durch, dass Qualität und Verlässlichkeit von Produkten nicht mehr ausreichen, um sich auf dem globalen Markt zu behaupten.
Trotzdessen wird Marketing oft als nachgeordnete Funktion des Verkaufs gesehen und so wird manches Budget mit Verweis auf „letztes Jahr wurde nicht genug verkauft, also ist kein Geld da“ zusammengestrichen.
In Diskussionen mit japanischen Managern oder dem Headquarter ist es hilfreich, diesen historischen Hintergrund zu kennen, um die eigene Argumentation darauf abzustimmen. Man sollte also nicht davon ausgehen, dass das Verständnis für die Rolle des Marketing überall vorhanden ist. Eine tiefergehende Begriffs- und Rollenklärung ist somit hilfreich und unbedingt zu empfehlen.