Wenn man Japaner fragt, welche Schwierigkeiten sich durch kulturelle Unterschiede ergeben, hört man oft den Ausdruck kabe 壁, auf Deutsch “die Mauer”.
Darunter versteht man in Japan die „unsichtbare Barriere“, die eine problemlose Verständigung erschwert.
Die Mauer ist deswegen so schwierig zu überwinden, weil den Beteiligten oft nicht bewusst ist, dass sie überhaupt existiert oder woraus sie besteht. Die Höhe der Mauer hängt nicht nur davon ab, wie gut beide Seiten Englisch sprechen. Neben der reinen Sprachkenntnis spielt auch eine große Rolle, ob Wörter und Ausdrücke, die ohne groß nachzudenken eins zu eins übersetzt werden, im Kontext der jeweiligen Sprache auch wirklich das Gleiche bedeuten.
Dazu ein konkretes Beispiel eines Seminarteilnehmers, dass vielen bekannt vorkommen wird:
„Sehr oft, wenn ich Japanern etwas ausführlich erkläre, höre ich immer „Yes, yes“. Wenn ich aber denke, jetzt ist alles klar, kommt kurze Zeit nach unserer Unterhaltung stets eine Email mit derselben Frage. Dann stellt sich heraus, dass nichts verstanden wurde. Warum fragen Japaner denn nicht nach?“
Des Rätsels Lösung liegt im unterschiedlichen kulturellen Verständnis hinsichtlich des Wortes „yes“.
Von vielen Japanern wird „yes“, wenn sie Englisch sprechen, genau wie das japanische hai gebraucht.
Wie Sie vielleicht wissen, bedeutet hai auf Japanisch keineswegs „ja“, im Sinne von „ich stimme zu“.
Analysiert man japanische Gespräche, wird offensichtlich, dass fast nach jedem Halbsatz unabhängig vom Inhalt ein hai folgt. Daraus lässt sich ableiten, dass hai weder auf Zustimmung, noch auf zumindest ein Verständnis des Gesagten hindeutet. Man signalisiert lediglich, dass man „ganz Ohr“ ist.
Ein bekanntes japanisches Sprichwort lautet Ichi wo kikeba, jū wo shiru1を聞けば10を知る, auf Deutsch „1 hören, 10 verstehen“.
Es liegt somit in der Verantwortung des Zuhörers, sich zusätzlich zu der ausgesprochenen Informationsmenge „Eins“ die restlichen „Neun“ an Informationsgehalt irgendwie selbst zu erschließen, obwohl diese vielleicht nicht explizit genannt werden.
Anders als hierzulande trägt somit nicht der Sprecher, sondern der Zuhörer die Hauptverantwortung für das Gelingen der Kommunikation. Daher ist es im Japanischen extrem unhöflich, den Sprecher zu unterbrechen, auch wenn man etwas nicht versteht. Nachfragen ist nur gestattet, wenn der Sprecher dies durch ein „soweit alles klar?“ oder ähnliches einleitet.
Zu guter Letzt möchte ich noch einen weiteren japanischen Ausdruck vorstellen, der diesen Ansatz widerspiegelt.
Kūki wo yomu 空気を読む enthält die Aufforderung „die Luft zu lesen“, um eine Botschaft zu verstehen. Im Gegensatz zu Deutschland wird in Japan also nicht nur „zwischen den Zeilen“ gelesen. In diesem Ausdruck zeigt sich die Erwartung, dass Kommunikation unter Japaner/innen im Idealfall gleich durch Gedankenübertragung ganz ohne Worte funktionieren soll.
Die meisten japanischen Muttersprachler halten sich natürlich auch im Englischen an diese Grundregel, nach der der Zuhörer die Hauptverantwortung trägt. Das heißt, dass sie sich trotz Nichtverstehens oft nicht trauen, den Sprecher zu unterbrechen, um nachzufragen.
Die „Luft hierzulande“ zu lesen, also sich aus dem Kontext den Sinn zu erschließen, ist Japanern oft aufgrund des Sprachlevels und der unterschiedlichen Körpersprache zwischen den Kulturen oft nicht möglich.
Daher verschieben viele Japaner die Klarstellung dessen, was genau besprochen wurde, lieber auf eine Mail oder ein späteres Gespräch. So vermeidet man, aus japanischer Sicht, peinliches oder aufdringliches „Nachbohren“.
Tipps zur Verbesserung der Kommunikation mit Japanern
- Passen Sie Ihren Kommunikationsstil ganz bewusst an das Level des Gegenübers an! Englisch zu benutzen ist für die meisten Japaner nicht einfacher als für Sie Japanisch zu sprechen. Jüngere Generationen haben hier aber enorm aufgeholt!
- Achten Sie genau auf non-verbale Signale Ihres Gegenübers während des Gesprächs! (z.B. das hörbare Einsaugen des Atems, das oft Zweifel oder Verwirrung signalisiert)
- Fragen Sie so oft wie möglich von sich aus nach, ob Sie verstanden wurden! Erst dann wird Ihr Gegenüber (oft non-verbal) signalisieren dürfen, dass er/sie nicht folgen konnte!
Mehr zu diesen Themen in unseren offenen Schulungen!