„Gaman“ (我慢), das Durchhalten auch in schwierigen Zeiten, ist eine japanische Tugend, die Eigenschaften wie Geduld, Widerstandskraft und stille Beharrlichkeit vereint. Sowohl im persönlichen als auch im beruflichen Bereich praktiziert, gilt „Gaman“ oft als Zeichen von Stärke, da man durch das Ertragen von Herausforderungen ohne Murren Ehrhaftigkeit und Disziplin lebt. Doch dieser traditionelle Wert wird in Japan insbesondere von den jüngeren Generationen zunehmend hinterfragt, wodurch sich die Arbeitswelt ändert. Viele fragen sich, was es bringt, „auf Kosten des persönlichen Wohlbefindens um jeden Preis durchzuhalten“.
Die Freundin einer jungen JCO-Praktikantin erzählte letztens von einer Erfahrung, die diesen kulturellen Wandel verdeutlicht. Nachdem ein neuer Manager eingesetzt wurde, wandelte sich die unterstützende und flexible Arbeitskultur ihres Unternehmens zunehmend in Richtung eines rigiden und kontrollierenden Managementstils. Das Team, das bis dahin dazu ermutigt wurde, auf die Work-Life-Balance zu achten und ohne Scheu Ideen auszutauschen, fand sich nun in einer Umgebung wieder, in der Stimmen und Meinungen, die nicht mit der Vision des Managers übereinstimmten, gegängelt und ignoriert wurden. Die Atmosphäre am Arbeitsplatz verschlechterte sich erheblich und die Motivation der Mitarbeiter nahm ab.
In einem Fall verlangte der Manager, dass ein bestehender Excel-Bericht noch einmal komplett von vorne in PowerPoint erstellt und ins Englische übersetzt werden sollte, ohne dafür einen klaren Grund zu nennen. Durch solche willkürlichen Anforderungen nahm die Kreativität und Motivation der Mitarbeiter ab. Noch schlimmer war, dass der Manager erwartete, dass das Personal auch während Krankheit verfügbar war. Auch machte er sich offen über, aus seiner Sicht, zu lange Kinderbetreuungszeiten lustig und setzte die Mitarbeiter unter Druck, früher als gewünscht zur Arbeit zurückzukehren. Diese Maßnahmen gingen an die Grenzen von „Gaman“, da die Mitarbeiter Mühe hatten, diese neue, belastende Umgebung zu ertragen. Viele Mitarbeiter verließen daraufhin die Firma.
Während Geduld und stilles Durchhalten lange Zeit hoch geschätzt wurden, hinterfragen jüngere Angestellte zunehmend, ob „Gaman“ wirklich bedeuten muss, ihre mentale Gesundheit, Kreativität und persönlichen Präferenzen dem Arbeitgeber zu opfern. Anstatt weiterhin still zu leiden, setzen sich viele nun für offene Kommunikation und eine bessere Balance zwischen Arbeit und Privatleben ein.
Für sie bedeutet das Aushalten von Widrigkeiten nicht, ein toxisches Umfeld ohne Beschwerden zu akzeptieren. Stattdessen streben sie eine moderne Interpretation des „Gaman“-Konzepts an!
Mit der Entwicklung der Arbeitswelt in Japan muss sich auch der Führungsstil ändern. „Gaman“ sollte im modernen Kontext nicht stilles Leiden bedeuten, sondern vielmehr ein Gleichgewicht zwischen Widerstandskraft und dem Einsetzen für das eigene Wohlbefinden. Führungskräfte, die dieses Gleichgewicht respektieren, schaffen dadurch Arbeitskulturen, in denen klare Kommunikation und Empathie im Einklang mit den Grundprinzipien von „Gaman“ und japanischen Werten stehen.
(JCO und Aika Kobayashi; JCO Praktikantin)