Über die japanische Art der Kommunikation sind schon viele Artikel, Research Paper und Bücher geschrieben worden.
Manche Autor/innen konstatieren nüchtern die Unterschiede, andere wiederum spielen mit uralten Mythen und berichten von der „Gedankenübertragung im Land des Lächelns“.
Auch ich beziehe mich als Trainer in fast allen Schulungen, Workshops oder Coaching Sessions auf dieses Thema. Und doch gibt es nach 30 Jahren Japanerfahrung meinerseits immer noch neue persönliche Erlebnisse, die mir zeigen, dass unsere Kulturen doch nicht so weit auseinander liegen.
Kurz zu den Hauptunterschieden zwischen z.B. Japanisch als High Context Sprache und dem deutschen Kommunikationsstil.
Das High Context Modell basiert auf der Annahme, dass in Kulturen, in denen Mitglieder einer eher homogenen Gruppe über längere oder sehr lange Zeiträume miteinander interagieren, viel gemeinsames Wissen und Erfahrungen vorherrscht. Dadurch kann Kommunikation eher indirekt erfolgen, da alle Mitglieder bereits viel Vorwissen teilen.
Zu diesem Vorwissen, sprich dem hohen Grad an Kontext, können ungeschriebene Regeln, typische Abläufe oder die allen bekannte Vorgeschichte einer sich neu entfaltenden Situation zählen. Mehr dazu in diesem JCO Artikel
Da in solchen Kulturen alle Mitglieder extrem viel Vorwissen teilen, müssen eigene Einschätzungen oder auch genaue Handlungsvorschläge nicht immer klar ausgesprochen werden. In manchen Fällen ist das Kommunikationsmittel der Wahl das berühmte japanische Lächeln, dass sowohl Freude, Ärger, Scham, Verwirrung oder Trauer ausdrücken kann.
Worte sind dann manchmal nicht mehr nötig, da jeder weiß, was der/diejenige sagen möchte. Hier ein weiterer JCO Artikel zur Körpersprache
Alternativ wird durch sehr indirekte Standardfloskeln wie „ちょっと難しいです/it is a bit difficult“ oder „考えさせてください/let us consider“ signalisiert, dass etwas nicht in Frage kommt.
All dies mag eventuell so lange recht esoterisch klingen, bis man eine ähnliche Erfahrung eigenen Leib macht.
Bei mir war es so weit, als ich 2019 kurz vor der großen Party zum Anlass meines 50. Geburtstags meine Stimme vollkommen verlor. Nach einer Erkältung und mehreren Schulungen hintereinander war am Ende eines Trainings auf Japanisch pünktlich um 17 Uhr Schluss.
Ich hatte zwar keinen Kunden enttäuscht, da ich bis zum Ende durchhielt, konnte dafür kein Wort mehr sprechen.
Die vom Arzt verordnete totale 3-tägige Stimmruhe fiel mitten in die große Geburtstagsfeier…also was tun?
Nun ja, ich borgte mir von einem unserer Kinder eine alte abwischbare Zaubertafel aus und hing mir diese um den Hals. (siehe Bild…)
Meine Annahme war folgende:
Jeder meiner Gäste kannte mich seit sehr langer Zeit. Also teilte ich mit jedem eine sehr hohe Menge an gemeinsamen Erlebnissen, Vorwissen und Erinnerung an Gespräche, die wir über die Jahre geführt hatten. Unser gemeinsamer Kontextlevel war also sehr hoch.
Laut „High Context” Modell sollte es möglich sein, trotz fehlender Stimme eingehende Gespräche zu führen, indem ich jeweils nur 1 oder 2 Stichpunkte auf die Zaubertafel schriebe. Der Rest müsste sich meinen alten Freund/innen und Verwandten aus dem Zusammenhang erschließen.
Gesagt, getan! Im Laufe des Abends setzte ich mich mit jedem zusammen und schrieb jeweils ein Thema wie „Tochter, Ausland“ auf die Tafel, um nach dem Auslandsaufenthalt der Tochter eines Freundes zu fragen. Oder stellte meiner Tante das Stichwort „Knie“, um sofort mehr über den Verlauf nach ihrer Operation zu erfahren.
Das lief so gut, dass es ein wahrhaft lustiger und zudem unerwartet informativer Abend wurde.
Da ich durchgehend schwieg, erfuhr ich eine Unmenge Neues aus dem Leben meiner Gäste. Ich vermute sogar, dass sich die meisten überhaupt nicht an meine fehlende Stimme erinnern würden.
So wurde mir nach 30 Jahren klar, dass auch in Japan keiner Gedanken lesen kann, sondern dass es dort nur sehr viele ungeschriebene Regeln, standardisierte Abläufe und gemeinsame Erlebnisse gibt, die jeder kennt und auf die man sich mit wenigen Andeutungen beziehen kann, so wie ich das durch meine Zaubertafel in meiner eigenen „High Context“ Gruppe tat.
Japaner/innen sind also auch nur Menschen, wenn auch welche mit sehr feinen Antennen! Das heißt, dass dort vorausgesetzt wird, dass sich jeder – so wie ein enger Freund/in oder Verwandter hierzulande – in sein Gegenüber hineinversetzen muss, um Konflikte und unangenehme Überraschungen zu vermeiden.
Mehr zum Thema in unseren Trainings oder Coachings!